Über das Drehen

“Es ist wissenschaftlich anerkannt, dass die grundlegende Voraussetzung für unsere Existenz eine Drehbewegung ist. Es gibt kein Wesen oder Objekt, das nicht dreht, denn alle Wesen bestehen aus Atomen mit kreisenden Elektronen, Protonen und Neutronen. Alles kreist, und der Mensch lebt dank der Teilchenbewegung, dem Blutkreislauf und den Lebenszyklen mit dem Erscheinen aus der Erde und dem Zurückkehren zur Erde.”

Dr. Celaleddin Celebi, 21. Urgroßenkel v. Rumi

Woher kommt der Drehtanz?

Die Drehtanz-Bewegung ist ebenso bekannt vom Tanz der Derwische – dem „Sema“. Derwische sind Anhänger des Sufismus, eine aus dem Islam entwachsene Religion mit liberalen Werten. Spin your life folgt allerdings keiner religiösen Bewegung.

„Sema“ ist der mystische Tanz der sich drehenden Derwische des Mevlevi-Ordens (Konya/Türkei). Seinen Ursprung fand dieses Ritual in einer Inspiration des islamischen Mystikers Mevlana Celaleddin Rumi (13. Jhdt.). Die Derwische nutzen die drehende Bewegung nicht als Tanzstil, sondern betrachten es als Teil eines umfassenderen Rituals. Hier waren in den Ursprüngen im 13. Jahrhundert nur Männer zugelassen. Die Teilnahme von Frauen am Ritual ist erst seit dem 20. Jahrhundert möglich. Die tanzenden Derwische suchen nach „Einswerden“, „Bewusstwerden“, „Erkenntnis“. Verstand, Herz und Körper werden beim Sema zusammengeführt. Den Derwischen geht es nicht darum, in Ekstase zu fallen, sondern sich in Harmonie mit der Natur, mit den kleinsten Zellen und den Sternen am Himmel zu drehen. Es darum, Gott nahe zu kommen. Mit diesem Ziel und durch die Drehbewegung geraten sie in Trance.

Die sufistische Auslegung konzentriert sich auf die inneren Dimensionen des Islam und die Reinigung der Seele. Es werden liberale Werte vertreten, die sich in Begriffen wie Bruderschaft und Gemeinschaft widerspiegeln. Der Mittelpunkt der sufistischen Lehre ist die Liebe, die immer im Sinne von Hinwendung (zu Gott) zu verstehen ist. Es wird erwartet, den anderen an seinen Freuden, seiner Liebe und seinem Eigentum teilhaben zu lassen.

Die Anfänge des Sufismus liegen in Nordostiran, in Teilen Afghanistans und Mittelasisens. Sufi-Orden entwickelten sich im Laufe der Zeit in Indien, Pakistan, Syrien, Ägypten, Mongolei, Irak, Iran, Indonesien, Malaysia und in der Türkei.

Literaturhinweis: Serkan Bozkurt (2014): Derwischtanz und Sufismus, Trance und Mystik. Aspekte der Vergangenheit und Gegenwart. Anatolienmagazin

Was passiert beim Drehen in deinem Körper?

Durch das Drehen wird die Wahrnehmung von Raum und Zeit stark beeinflusst. Deine visuelle Wahrnehmung und dein Gleichgewichtsorgan werden besonders beansprucht. Du wirst deine Umgebung verschwommen wahrnehmen. So werden die anderen Sinne verstärkt genutzt, um Orientierung und Sicherheit zu erlangen. Du lernst mehr und mehr, auf deinen kinästhetischen Sinn (Spüren, Fühlen) und deine auditive Wahrnehmung (Hören) zu vertrauen. Auf diese Weise trainierst und sensibilisierst du deine Körperwahrnehmung. Mit der Zeit wirst du bemerken, welchen Nutzen dir diese neue Sensibilität auch im Alltag bringt.

Dein Gleichgewichtssinn (oder auch vestibuläres System genannt) wird durch die Drehbewegung gefordert. Anfangs kann es sein, dass du den aufkommenden Schwindel als unangenehm empfindest und du Übelkeit verspürst. Denn bei gewohnten Bewegungen verhilft dir dein Gleichgewichtssinn zu Balance und Orientierung im Raum. Dein Körper kann sich durch deine vestibuläre Wahrnehmung auf die ständig einwirkenden Reize einstellen und sich seiner Umgebung anpassen. Das passiert reflexartig und unbewusst. Das Drehen ist für dein Gehirn anfangs eine sehr unbekannte Bewegung und es muss sich erst an die neue Lage anpassen. Bei Spin your life wird dein Gleichgewichtssinn achtsam an das große Unbekannte herangeführt. Du wirst sehen, mit ein bisschen Übung wird dein Schwindelgefühl bald ein liebgewonnener Teil sein und dir viel Freude beim Drehen schenken.

Anzumerken sei, dass Ärzte und Physiotherapeuten bei Menschen mit Gleichgewichtsstörungen ähnliche drehende Behandlungsmethoden anwenden, um das vestibuläre System gezielt zu trainieren.

Betrachtet man beim Drehtanz die rein körperliche Ebene, ist er einfach gesagt der „Einstieg in die Zentrifugal- und Gravitationskraft und der spielerische Umgang damit“.  Je schneller du drehst, desto stärker werden die Kräfte und umso wichtiger ist es, dass du physisch und mental „hier“ bleibst. Durch die Wirkung der Kräfte (Zentrifugal-, Gravitation, Reibung und Druck) wird automatisch ein Einssein mit dir selbst entstehen.

Der Drehtanz ist sehr vielschichtig. Neben der Freude an der Bewegung bietet diese Methode die Möglichkeit, körperliche, emotionale und geistige Bewusstseinszustände durch das Drehen zu erweitern und Erkenntnisse und Entdeckungen über unser tieferes Selbst erfahren.

Wie ist das nun mit den Bewusstseinszuständen?

„Spin your life“ ist eine Einladung dazu, Vertrauen in dich selbst, ins Leben und deine stetige Veränderung zu entwickeln. Genieße das, was dabei nach und nach auftaucht. Denn wie von selbst docken wir durch das Drehen an unsere unbewussten Anteile an. Zu unserem oft kontrollierenden und zensierenden Verstand wird eine zusätzliche Ebene aktiviert. Es kann sein, dass Vergessenes oder Verdrängtes an die Oberfläche „gewirbelt wird“, sich durch innere Bilder, Gedanken, Gefühle und Sinnes- und Körperempfindungen zeigen. Doch keine Sorge! Bei „Spin your life“ wirst du gestärkt und immer wieder achtsam zu deinen Kraft- und Energiequellen geführt. So gibst du beispielsweise deinen Fähigkeiten, Visionen, Träumen, deinem Vertrauen, deiner Freude, deiner Offenheit, deiner Authentizität und allem, was dich in deinem ganzen Sein ausmacht, viel Raum. Mit dieser Hingabe können alte Muster, Gewohnheiten und hinderliche Überzeugungssysteme durch neue Sichtweisen und Perspektiven nach und nach ersetzt werden.

Der Drehtanz ist auch eine Form der bewegten Meditation. Die Konzentration auf die körperliche Zentriertheit und die Sinne im Hier und Jetzt ist unumgänglich. Sonst „hebt man ab“ im wahrsten Sinne des Wortes. So kann es zu einem Trancezustand kommen. Einem Tanz zwischen Bewussten und Unbewussten, in dem die Grenzen zwischen Wach- und Entspannungszustand durchlässig sind. Du wirst nicht „weg“ sein, sondern geistig hellwach und deine Aufmerksamkeit auf dein inneres Erleben beschränken. In der Trance wirst du äußere Einflüsse in den Hintergrund lenken und weitestgehend ausblenden. Das Unterbewusstsein gewinnt mehr Raum. Du findest vielleicht Antworten auf deine Fragen, kreierst neue Ideen oder kannst Gefühle vergangener Erlebnisse jetzt verändern. So wirst du mit der Zeit nachhaltige Veränderungen im Denken, Fühlen und Erleben bemerken.

Alles in allem führt der Drehtanz durch das Verstehen und Integrieren aller aufkommenden Empfindungen zu einem gesünderen Körper – psychisch und physisch.

Wie nehme ich die anderen Tänzer*innen im Raum wahr?

Du drehst alleine in deinem Bewegungsradius – mal an einem fixen Platz, mal durch den Raum. Ganz so, wie es dein Körper beliebt. Während dem Drehen bist du voll und ganz bei dir – bei deinem Körper, deinen Gedanken und/oder deinen Emotionen.

Andere Tänzer*innen um dich herum haben insofern einen Einfluss auf deinen Tanz, indem du die Regungen anderer mit deinen Sinnen vielleicht wahrnehmen wirst, dich mit deinem Umfeld synchronisierst während du jedoch selbst körperlich und emotional zentriert bist – also ganz in deinem Körper bleibst. Diese ständige Rückbesinnung ist ein Erforschen deiner selbst, das deine Bedürfnisse aufzeigen wird und Sensibilisierung für dich und deinen Körper schaffen wird.

zentrieren, mobilisieren, synchronisieren – so bleibst du stets auf deinem Forschungsweg.